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07.06.2009 - 31.08.2009
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Winfried Witt hat mit den „Rückenbildern“
dem klassischen Malverfahren des Leinwandbildes für seine Zwecke seine primäre technische Voraussetzung genommen, nämlich die Grundierung, die normalerweise die Aufgabe hat, die Stoffoberfläche abzudichten
und eine glatte Fläche für den Auftrag der Farbe bereitzustellen.
Eigentlich kann man ohne Grundierung gar nicht wirklich malen – zu widerständig und saugkräftig ist die Leinwand. Das Material würde die wohlüberlegte Faktur des malerischen Pinselduktus und des Farbauftrages vollkommen überwältigen und ganz eigenständige Wirkungen erzeugen, die der Künstler kaum in differenzierter Weise selbst steuern könnte. Aber eben hier setzt Winfried Witt an.
Das Eigenmächtig – werden der Leinwandstruktur wird zum Produktionsfaktor umgedeutet,
und das konsequent. Nicht auf der Staffelei sondern flach auf dem Boden liegend wird die
Leinwand bemalt – und meist in der konventionellen Reihenfolge: Vorzeichnung mit dem Pinsel, Anlage der großen Flächen, dann die feinere Ausarbeitung, alles schichtet sich übereinander und drückt sich, wie durch ein Sieb durch die Leinwand durch nach den je eigenen Gesetzen von Druck von oben mit Spachtel oder Pinsel, nach Dichte und Zähigkeit. Gewiss werden manche Punkte auch mit Absicht bereits als erste gesetzt, damit sie dann auf der Rückseite auch als erste durchgedrückt sind.
Aber diese Steuerbarkeit hält sich in Grenzen. Die künstlerische Kontrolle über das Ganze ist mit Absicht massiv behindert, um dem figuralen Konzept des Bildes eine physische Gegenmacht entgegenzusetzen. Das wirkt sich besonders auf die Strukturerscheinung der Farbmassen aus:
Sie sind nicht mehr gestrichen oder geschichtet, wie auf der Vorderseite, sondern dringen
auf der Rückseite senkrecht hervor, dem Blick entgegen.
Der individuelle Pinselgestus des Malers ist gelöscht und stattdessen sieht man die
zackenartigen Spitzen der Farbberge, wie sie durch das Webmuster der Leinwand
durch gedrungen sind.
Die Leinwand wird vermittelndes Medium und spannt sich zwischen Maler und auf der Rückseite erscheinendem Bild – ein Bild das nun dort dem Betrachter näher ist, als es dem Maler je war.
Wir finden uns [bei einer Malerei] ungefragt mit der Tatsache ab, dass mit der Leinwand oder mir dem Holzbrett nach wenigen Millimetern Schluss ist, und alles andere an Ferne, Tiefe, Raum nur Augentrug und vorgespiegelte Zauberei sein kann:
Alle Malerei ist nur Oberfläche. Der große Gianlorenzo Bernini hat die Malerei rundweg als Lüge bezeichnet, weil man eine dargestellte Körperform darauf nicht ertasten könne.
Winfried Witt hat hiermit zu den geläufigen Diskursen der Kunstgeschichte sehr eigenständig und interessant Stellung bezogen:
Einmal zu den Diskursen der so genannten Bildwissenschaften, wie sie seit längerem so beliebt geworden sind: Dort hat sich die Frage „Was ist ein Bild“? So sehr in einer einzigen Schlinge gefangen, dass immer nur noch die Frage gestellt wird: Was sehen wir? Die Frage: Wie ist ein Bild entstanden? Welche Energien haben dabei mitgewirkt ?– bleibt weitgehend unberührt, und damit auch alles, was Bilder als körperhafte Dinge, als gemachte Objekte und als stoffliche Wirklichkeiten ausmacht. Hier sind diese Rückenbilder von Winfried Witt nun wirklich gegenständig: wahrhafte „Objekte“, denn sie sagen:
Wir sind Bilder, doch nicht frei gestaltet, sondern in mediatisierten stofflichen Prozessen entstanden. Wir haben nicht nur Ansichtsseiten ja unsere eigentlich gestaltete Ansichtsseite ist unsichtbar und Ihr seht uns nur von hinten. Nach der grundsätzlichen Intention von Winfried Witt dürfen die Bilder nicht flach sein. Ihre Körperhaftigkeit entspricht nämlich auch ihrem Darstellungsgegenstand: dem menschlichen Körper. Und hier ist ein zweites
Schlachtross heutiger Kunstdiskurse in die Klemme gekommen: Stich - und Schlagwort „Körper“.
Der Körper – der in den kulturtheoretischen Diskursen oft als der letzte Fluchtort des individuellen menschlichen Selbstgefühls in der Welt angesehen wird, ist auf diese Weise handfest in Frage gestellt. Und ähnliches passiert in diesen „Rückenbildern“ ebenfalls, wenn auch gemildert. Wenn die Kunstwissenschaft heute so gerne vom „Bildleib“ spricht, von der Malerei als Körper, der lebendige emotionale Energien versinnlichen kann, der verletzt, geöffnet, verwundet werden kann, dann sind diese Bilder von Winfried Witt auch darauf eine Antwort.
Denn hier ist das Metaphorische, das in solchen kulturwissenschaftlichen Deutungen liegt, weitgehend ausgeschaltet, und die Phantasie des Künstlers wie des Betrachters hat es mit einer wirklichen Synthese von malerischer Substanz und Körperbild zu tun, die kaum transzendentale Spekulation zulässt.
Die „Rückenbilder“ sind nicht metaphorisch, sondern sie tendieren über den gezielten künstlerischen Gestaltungsprozess hinaus – zu stofflicher Autonomie. Ihre poetische,
künstlerische transzendierende Ebene liegt auf der nicht mehr sichtbaren Vorderseite. Deren Illusionismus ist der kruden Farbmassenerscheinung der Rückseite geopfert.
Das „Malerische“ als objektive Gestaltungsqualität wird massiv zurückgedrängt und der individuellen ästhetischen Erfahrung des Subjekts übereignet.
(Gekürzte Fassung der Ansprache von Prof. Dr. A. Haus von der Udk-Berlin zur Eröffnung der Ausstellung "Rückenbilder")
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